Wie ganz darf, muss oder sollte ich im Arbeitsalltag sein? Forschen am Praxisfall!

 

 Ganzheit und Wholeness sind Buzzwords geworden. Frederic Laloux widmet in seinem Weltbestseller, Reinventing Organizations, dem Thema zwei Kapitel. Wir wollten wissen, ob sich mit Hilfe von Aufstellungen erfahrbar machen lässt, wie sich mehr Ganzheit bei der Arbeit anfühlt, was es dazu braucht und was es verändert, wenn Menschen bei der Arbeit ihre Masken fallen lassen. 

Was ist eigentlich Ganzheit, kann ein Mensch überhaupt nicht-ganz sein? Gehört nicht z.B. auch die Angst, sich mit vermeintlichen Schwächen zu zeigen, ganz natürlich zu uns Menschen dazu?
Was brauche ich, um mich ganz zu fühlen? Arbeit? Wann sind Probleme Business-Probleme und wann sind es „Menschenprobleme“? Bedeutet Ganzheit gleichzeitig Reibung im Team und wieviel Reibung verträgt ein Team? Wie schnell und bis zu welchem Grad ist es gut sich bei der Arbeit zu zeigen?

Für die Aufstellung wählten wir folgende uns bekannte Ausgangssituation eines Kunden: Die Innovationsabteilung eines Konzerns war in eine finanzielle Krise geraten und schien handlungsunfähig. Die kumpelhafte Nähe zwischen Mitarbeitenden und dem verantwortlichen Abteilungsleiter mündete in Vorwürfe seitens der Mitarbeitenden und Entscheidungshemmungen seitens der Abteilungsleitung.  

In der Aufstellung stellte sich heraus, dass die herrschende Start-up-Kultur mit vielen freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Mitarbeitenden und auch der Abteilungsleitung und die Offenheit im Umgang miteinander zu einer Art Partyatmosphäre geführt hatte. Im Hinblick auf die Arbeit fühlten sich die Mitglieder des aufgestellten Teams wie gelähmt. Sie befanden sich in einer stark spürbaren energetischen Glocke, die konstruktive Veränderungen regelrecht unmöglich machte. Und die bestehende Offenheit reichte nicht aus, zu erkennen, welche verinnerlichten Erwartungen der Mitarbeitenden an die Führungsstärke der Abteilungsleitung existierte und welche Schwierigkeiten die Leitung damit hatte, denn die äußerliche Stimmung war sicht- und hörbar gut.

In der Aufstellung konnten sich die Teilnehmenden das Lachen kaum verkneifen. Die Atmosphäre war witzig, aber Handeln war nicht möglich. Schon nach kurzer Zeit wurde die Start-up-Kultur selbst von den Beteiligten als maßlos empfunden. Als die Repräsentantin „Respekt vor Entscheidungen“ in die Aufstellung reingeführt wurde, gab es eine Erleichterung und es kam eine angenehme Ernsthaftigkeit in das Team. Es entstand überhaupt die Möglichkeit und eine Bereitschaft, die Dinge wirklich anzusehen und auch die eigene Sichtweise zu überdenken, nicht nur von anderen eine Veränderung zu erwarten.

Die Leitung konnte erkennen, dass die Start-up-Kultur eher ein Ausweichmanöver war, statt echten Kontakt herzustellen. Trotz der scheinbaren Nähe zu den Mitarbeitenden, war die Leitung nicht wirklich im Kontakt mit Ihr, sondern eher einsam. Ihr wurde bewusst, dass die Mitarbeitenden von Ihr Klarheit und Entscheidungen erwarteten und dass sie mit der Unterstützung des Respekts dazu auch in der Lage waren. Die Leitung konnte glaubhaft und ohne den Deckmantel der Start-Up Kultur äußern, wie schwer Ihr diese Entscheidungen fielen, z.B. Mitarbeitende entlassen zu müssen bzw. Unterstützung und Hilfe von ihnen einzufordern. Und die Mitarbeitenden konnten echte Empathie für dieses aufrichtige Outing entwickeln und auch die Inhalte besser akzeptieren.

Am Ende wurde deutlich, dass durch das jetzt entstehende Vertrauen auch ein formaler Respekt vor den Entscheidungen der Leitung gar nicht mehr nötig war, er war einfach ganz von alleine da. Es entstand eine Art natürliche Autorität. Wie kam es dazu? Für diese Entwicklung war nach der Beobachtung der Teilnehmenden ausschlaggebend, dass die wahren Bedürfnisse, Erwartungen und insbesondere auch Spannungen kommuniziert werden konnten. Diese Vertrauensbildung gelang durch Verlangsamung, Raum geben und echtem Interesse der Beteiligten (Nachfragen und Zuhören). Dadurch entstand ein Verständnis für die eigenen Schwächen und Verletzlichkeiten und die der Anderen. 

Das Fazit der Teilnehmenden für mehr Ganzheit im Arbeitsumfeld: Gerade in schwierigen Situationen dürfen Gefühle, Schwächen und Verletzlichkeiten nicht ignoriert, sondern idealerweise gezeigt werden, weil sie den Weg zu gegenseitigem Verständnis und Lösungsmöglichkeiten weisen. Und: man muss sich dafür Zeit nehmen! Dazu braucht es ein vertrauensvolles Umfeld. Und das Entstehen einer vertrauensvollen Atmosphäre und die Veränderung einer Kultur brauchen Aufmerksamkeit, Pflege und Zeit. 

Diese Erkenntnisse mögen nicht neu sein, entscheidend ist die persönliche Erfahrung. In der Aufstellung konnten die Teilnehmenden miterleben und als persönliche Erfahrung abspeichern, wie es sich anfühlt, sich getraut zu haben, von einer persönlichen Schwäche zu sprechen, wie es sich anfühlt, wirklich gehört worden zu sein, wann Verständnis bei mir selbst und bei anderen entsteht, wie das Gefühl für gegenseitiges Vertrauen wächst und welchen Unterschied das für eine Zusammenarbeit macht. Erst derartige Erfahrungen ermöglichen uns, solche Erkenntnisse wirklich zu verinnerlichen und zu leben.

Wir freuen uns über jede Organisation und jede*n Fallgeber*in, welche erlebnisorientierte Methoden wie Aufstellungen ausprobieren wollen.

Wenn du deine eigenen Erfahrungen sammeln möchtest, findest du hier unsere aktuellen Termine: 
https://www.frischluft-beratung.de/termine-und-buchungen